Es ist aus - Meine Tochter kommt zu Pflege

Es ist aus - Meine Tochter kommt zu Pflege

Beitragvon Carsten » Mo 19. Jan 2009, 17:28

Ich fühle mich mies. Hundeelend. Als hätte ich sie verraten und verkauft. Aber es ging nicht mehr. Wir haben alle gelitten. Die Familie stand vor dem zerbrechen. Meine Tochter ist 8. Hat ADHS, Legasthenie, Dyskalkulie, AVWS und fügt sich null in die familiäre Gemeinschaft ein. Wir haben alles versucht. Waren beim Psychologen, Jugendamt, Ergotheraphie und so weiter.
Nun hatte sie wieder so eine Phase in der sie uns alle zum platzen gebracht hat. Sie hat eine eigene Kinderpsychologin. Die hat heute dringen empfohlen meine Tochter in eine Pflegefamiie zu bringen. Das ganze kann noch heute über die Bühne gehen. Das Jugendamt ist bereits informiert.

Sie hat gesagt wir sind keine schlechten Eltern. Im Gegenteil. Wir haben gesehen, das es so nicht mehr weitergehen kann. Wir haben alles bewegt, was wir bewegen konnten. Und versuchen für alle Beteiligten das Beste zu machen.

Nun ist der Weg zuende. Wir können nicht mehr.

Ich fühle mich so unendlich schlecht.
Carsten
 
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Re: Es ist aus - Meine Tochter kommt zu Pflege

Beitragvon Pferdefreundin » Mo 19. Jan 2009, 19:12

Hallo,
ist sie denn schon weg? Versucht jemanden vom Jugendamt direkt in die Familie bekommen der euch Tipps und Ratschläge für den Alltag gibt. Diese Person managt ähnlich wie die Super Nanny eure Familienstrukturen. Kämpfe wenn du dich elend fühlst. Hast du wirklich das Gefühl, dass ihr alles getan habt?
Es tut mir sehr leid, dass ihr an diesem Punkt angelangt seit. Versucht nochmal alles rauszuholen.
Lg
Pferdefreundin
 
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Re: Es ist aus - Meine Tochter kommt zu Pflege

Beitragvon antje » Di 20. Jan 2009, 18:34

Hallo,
ich weiss, mein Beitrag ist unendlich lang, aber es wäre nett, wenn du ihn trotzdem bis zum Ende liest...

Eines vorweg : ich verurteile dich nicht wegen dieser Entscheidung...

Ich bin auch Mutter von ADHS -Zwillingen, sie sind mittlerweile 19, stehen mit beiden Beinen recht fest im Leben und wenn es mal Probleme und Fragen gibt, kommen sie selbstverständlich zu Muttern...
Übrigens : dass ich zu meinen ADHS-Zwillingen gestanden habe hat mich damals meine Ehe gekostet...Mein Geschiedener vertrat wie viele andere Leute die Meinung: "die Kinder sind der Spiegel der Eltern".
-Was ja bei gesunden Kindern teils zutreffen mag, aber keinesfalls bei Kindern mit ADHS.-
Er wollte sich nicht immer blamieren und entschuldigen müssen.
Von da ab stand ich auch noch ganz alleine mit meinen Problemkindern da....
Aber wir haben uns zu dritt durchgekämpft und ich glaube, sie hätten mirt nie verziehen, wenn ich sie aufgegeben hätte!
Wenn du magst, lies meine Erfahrung mit meinen ADHS-Kindern in den nächsten Zeilen.

Ich weiß noch sehr gut, wie schwierig es mit meinen ADHS-Kindern war. Nicht zuletzt auch, weil in unserer Gesellschaft immer noch viele Menschen einen ADHS-Kranken und auch dessen Eltern ablehnen und mit unter regelrecht verurteilen. Ein ADHS-Kranker "ist unaufmerksam, bringt Unruhe in die Gruppe / Klasse kann nicht stillsitzen, stört permanent , und das mit Absicht..." ? - Nur wer es besser weiß, wer mit diesem Krankheitsbild vertraut ist und sich nicht durch dumme Bemerkungen und Anfeindungen "von aussen" entmutigen und beherrschen lässt; wer sagt : es ist mir egal, was andere von mir und meinem Kind denken, und fest hinter seinem Kind steht, der kann sich und seinem Kind in schwierigen Situationen gerecht werden.
Am meisten habe ich mit mir gehadert, ob ich es meinen Kindern zumuten kann und soll, Medikamente zu nehmen.Heute weiss ich, ich habe das richtige getan!
Ich bin ein Gegner der "chemischen Keule", setze wenn nötig , lieber auf Pflanzliche Produkte,aber ich tat es dennoch.Sie bekamen anfangs Ritalin, später Medikinet und zuletzt Concerta (16mg) bis zum Ende der Schulzeit.Mit dem Erfolg: Sohn Hauptschulabschluss mit ganz glattem Durchschnitt (3) und meine Tochter sogar Realabschluss mit 3.
Abgesetzt wurden die Medikamente dann in den letzten Sommerferien.
Heute haben beide eine Lehrstelle und schlagen sich recht tapfer durch.Sie stehen schon auf eigenen Beinen, lehrbedingt mussten sie sich jeweils eine kleine Wohnung vor Ort nehmen. Und beide haben liebe Partner.
Und : Mann oh Mann :o ! - die sind sogar richtig in Ordnung ! Wenn ich an die Kinderzimmer zu Hause denke- das waren halbe Müllhalden! ...
Ich bin so stolz auf sie (und natürlich auch auf mich ;) )
Rückblick:
Trotzdem kannte ich das Gefühl, manchmal nicht mehr weiter zu wissen, besonders, wenn meine Kinder ungerecht mir gegenüber auftraten oder wiedermal eine Diskussion aufkommen wollte über nicht erledigte Aufgaben und liederliches und...
Bleib ruhig, fahre bloss nicht aus der Haut ....
Ja wie ?! -es ist manchmal ganz schön schwer ruhig zu bleiben... man könnte ausflippen...
ABER HALT ! Ich wusste doch :
Ein Botenstoff fehlt, sie können sich selbst nur schlecht organisieren, Mecker hilft garnix!
Es klappt nur, wenn ich mir zum Einen einen dicken Schutzmantel Unflätigkeiten meiner Kinder mir gegenüber (Anschreien, Tobsuchtanfälle etc.) zulege, und zum Anderen,nur, wenn ich bereit bin, mir Hilfe zu holen und auch Hilfe anzunehmen und die Kraft aufbringe, vor anderen Leuten zum Verhalten meiner Kinder zu stehen.
Unsere Spielregeln Waren:
es nicht zum "Machtkampf" zwischen Eltern und Kind kommen zu lassen, klare Anweisungen und klare Ansagen.Das Wichtigste sind feste Grenzen.
Nimm dein Kind in deine Arme, halt es, wenn es sich auch anfangs wehrt mit leichtem Druck fest und sag ihm, dass du es lieb hast und es doch auf keinem Fall böse mit ihm meinst. Dann wird es ruhig. Und wenn nicht, bleib selber ruhig, gehe hinaus und lass es weitertoben.
In solchen Momenten habe ich dann meist leise die Tür zugemacht, ohne ein Wort. Die Wüterei dauerte oft eine Weile an, dann zog Ruhe ein und ab und an kamen meine Kinder dann sogar auch mit einem kleinlauten "entschuldige" zu mir, wenn sie sich abreagiert und Zeit zum Nachdenken gefunden hatten. Dann habe ich ruhig gefragt, (anfangs) ob nun das Zimmer nicht wieder (gemeinsam) in Ordnung gebracht werden soll, denn dieses Durcheinander findet es doch genau so wenig schön wie ich?... . War wiedermal etwas kaputt gegangen, dann hatte es halt weniger zum spielen, ging von mir etwas während einem Streit zu Bruch musste es - wenn nötig- neu gekauft werden.In diesem Fällen habe ich mit meinen Kindern ruhig darüber gesprochen, dass doch der Gegenstand nix dafür konnte und wir ja nun nur eines davon haben, ihn neu kaufen zu müssen -Geld, was wir doch lieber in etwas nettes für sie oder die Familie (Kino, Erlebnisbad-Besuch, Ausflug u.a.) hätten investieren können. Meist waren sie dann einsichtig. (Es hat aber nicht immer lang angehalten)
Kamen Beschwerden von Aussen (Nachbarn, Fremde)versuchte ich den jenigen klar zu machen, dass es sich um krankhaftes Benehmen handelt - es gibt allerdings Leute, die sind unbelehrbar / uneinsichtig, fingen an zu diskutieren... Ich ließ die dummen Sprüche an mir abperlen...
Zu Hause stritten sie oft und auchiIn der Schule gab es anfangs auch nur Probleme. Aber nach einem Arztbesuch und dem Beginn der (oben angesprochenen) Medikamentation wurde vieles etwas erträglicher. Auch die Trennung in verschiedene Schulklassen half, dass beide sich wieder besser vertrugen.
Ich habe die Erfahrung machen dürfen, dass ( 1998 ! )an der Grundschule meiner Kinder Lehrer zu einer ADHS-Schulung geschickt wurden, wo das Lernen und das Verhalten Lehrer - ADHS-Schüler
Thema war... Und durfte erleben, dass mit dem neuen Wissen der Lehrer fortan eher die kleinsten Positive statt Tadel rot im Hausaufgabenheft standen.
Das Wichtigste ist, dass sie selbst für kleinste Selbstverständlichkeiten gelobt werden (müssen) und dass man diesen Kindern immer wieder betätigt: ich liebe dich so wie du bist oder gerade deshalb noch mehr.
Das war selbst für mich nicht immer leicht. Aber immer, wenn ich wieder fast am Verzweifeln war half mir ein Spruch in einem der vielen Wartezimmer beim Psychologen :
" Liebe mich dann am meisten, wenn ich es am wenigsten verdiene."

Das hat mir während solcher Ausraster meiner Kinder immer wieder deren eigene momentane Ohnmacht vor Augen geführt.
Denn : SIE können ja nichts dafür!!! (-so wenig wie wir Eltern auch)

Es ist sehr schade, dass du aufgibst und an dem Punkt angekommen bist, dich von deinem Kind zu trennen.
Was ich nicht ganz verstehe ist: wenn deine Tochter in eine Pflegefamilie kommt, aus welchen Gründen sollte eine Pflegefamilie besser mit ihr zurechtkommen als du? Haben diese Leute Erfahrung im Umgang mit ADHS-Kindern? Du doch auch !Und du hast es doch immerhin schon 8 Jahre mit deinem Kind geschafft. Auch wenn du dadurch sehr erschöpft und am Ende deiner Kräfte bist, kämpfe! Nicht nur deiner Tochter zuliebe, auch dir und deiner Familie zuliebe!
Mach(t) eine Erholungskur, (wenn es sein muss auch) ohne Kind. Sicher wird euch das Amt zur Seite stehen und gern derweil einen Betreuer für euer Kind stellen.Oder es für diese Auszeit, die euch gut tut in eine Pflege geben.Auch gibt es Kuren, wo man sicherholen kann, während das Kind dort gleichzeitig von Spezialisten therapiert wird, ihr aber nicht für die ganze Zeit getrennt sein müsst.
Bitte kämpft gemeinsam !
Es tut deinem Kind sehr weh, wenn du den letzten Schritt gehst, die Trennung von ihm! (Auch wenn es dir dies nicht zeigt und eher trotzig reagiert und eine "Na und?" -Einstellung bezieht).Es wird sich von dir im Stich gelassen fühlen und sehr verletzt sein. Es wird sie - auch wenn sie es nie jemandem zugeben würde- ihr ganzes Leben lang beschäftigen. Schlimmsten Falles kann sie nie wieder einem Menschen richtig vertrauen - und wird nie eine glückliche Beziehung führen können. Diese verlassenen Menschen werden später immer von Verlustängsten gequält. Sie machen sich ihre Beziehungen zu anderen durch übermässige Kontrollen und krankhafte Eifersucht kaputt... Wegen dieser schlimmen Erfahrung im Kindesalter.
Das kannst du nicht wollen, das glaube ich dir nicht!
Ich weiß, dass du sie lieb hast, zeig es ihr indem du nicht aufgibst, sie nicht aufgibst! Haltet alle zusammen, ihr schafft es ganz bestimmt! Holt euch Hilfe, und wenn es sein muss Medikamente.
Ich weiss wovon ich rede!
Ich drücke euch von Herzen ganz ganz fest die Daumen, dass ihr es schafft, euren gemeinsamen Weg zu finden, für eine gemeinsame Zukunft!
Ihr werdet später genauso stolz auf deine/ eure Leistung blicken, wenn eure große "Kleine" mit Rosen zum Muttertag und Vatertag vor euch steht!
Liebe Grüße Antje
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Re: Es ist aus - Meine Tochter kommt zu Pflege

Beitragvon Carsten » Mi 21. Jan 2009, 13:58

Hallo Antje,

vielen Dank für Deinen ausführlichen Bericht und die Durchhalte Parolen.
Mediakmente haben wir alle durch. Nichts wirkt. Uns ist bewusst, das das Kind nichts für sein benehmen kann. Wie auch. Ist erblich bedingt. Kommt von meinem Vater. Nur der leugnet alles und lässt uns alleine.
Wie ich schon geschrieben habe, haben wir ALLES versucht, aber keine große Hilfe erfahren. Die Schwelle zur Aufgabe ist in vielen Familien anders. Wo diese liegt kann ich nicht sagen. Ich kann aber nicht tatenlos zusehen, wie meine Familie zerbricht. Meine Frau gleitet in die Magersucht ab, mein Sohn wird agressiv gegenüber meiner Tochter. Das kann so nicht weitergehen.
Wir nehmen nun erst einmal voneinader Abstand um in regelmäßigen Abständen wieder aufeinander zuzugehen.
Heute werde ich meine Tochter in die Pflegefamilie geben. SIe selbst hat 8 Kinder groß gezogen und hat Erfahrung mit ADHS Kindern. Zu dem wärmstens empfohlen von der Kinderpsychologin.

Der Kampf muss ein Ende haben, sonst gehen wir alle vor die Hunde.

Es ist traurig, aber im Moment wohl das Beste für Alle, bzw. die Mehrheit. Hier muss ich Demokrat sein.

Es gibt immer einen Weg zurück. Wann das sein wird, wird die Zeit zeigen.

LG
Carsten
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